Sonderveröffentlichung zum mitteldeutschen Kunststofftag 2014 - page 7

Porträt
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zial, das in diesem Werkstoff schlum-
mert.
Wenn Grafe über Unternehmer spricht,
dann sieht er seine Berufskollegen
durchaus mit kritischem Blick: „Unter-
nehmer neigen nicht selten zum Me-
ckern. Sie tragen aber selten selbst zur
Lösung der Probleme bei. Lösungen er-
warten sie meist nur von anderen.“ Vor-
nehmlich von der Politik. Dabei sei es
doch eine Binsenweisheit, dass die
Politik nur die Rahmenbedingungen
schaffen könne, mit der die Unterneh-
men dann klarkommen müssten.
Genau hier setzt Matthias Grafe an,
wenn er seine Sicht auf die Dinge laut
und öffentlich sagt. Zum Thema Fach-
kräfte zum Beispiel. Immer wenn davon
die Rede sei, würden zuerst die Hoch-
schulen aufspringen und nach Geld ru-
fen. Vornehmlich nach Geld vom Staat.
Fehlen würden aber vielmehr gut aus-
gebildete Facharbeiter für die Kunst-
stoffbranche.
Dass dies aber nur ein Teil der Wahrheit
ist, weiß Grafe auch selbst. Deswegen
hat er sich 2004 als einer der Gründer-
väter dafür eingesetzt, das Kunststoff-
cluster PolymerMat e.V. ins Leben zu ru-
fen. Später engagierte er sich als einer
der Stifter dafür, den Lehrstuhl Kunst-
stofftechnik an der Technischen Univer-
sität Ilmenau ins Leben zu rufen. Die
Berufung von Prof. Michael Koch zum
Leiter des Lehrstuhls geht zu einem gu-
ten Teil auf sein Konto: Er schlug den
Mann vor, der sich über Jahre einen her-
vorragenden Ruf in der Branche erarbei-
tet hatte, der aber nicht zum etablierten
Wissenschaftlerzirkel zählte. Noch heu-
te gehört Grafe zum Förderverein, der
die Stiftungsprofessur unterstützt.
Dahinter steckt ein Gedanke, der sich im
ersten Moment wieder provokant liest:
„Institute forschen, um Fördergelder zu
erhalten. Unternehmen forschen, um
Produkte zu entwickeln. Und der Staat
glaubt, alle Probleme mit Geld lösen zu
können.“ Zu Grafes großen Verdiensten
zählt es, diesen Dreiklang nicht nur öf-
fentlich ausgesprochen zu haben, son-
dern vor allem ihn zu einer Harmonie zu
führen – zumindest soweit es sich har-
monisieren lässt. Das strebt er für die
gesamte Branche in Mitteldeutschland
an, so kam auch die Idee für die ge-
meinsame Ausrichtung der Mitteldeut-
schen Kunststofftage zustande.
Es gibt nicht wenige Experten, die die
kunststoffverarbeitende Industrie für
den wichtigsten Industriezweig im
Freistaat Thüringen halten. Dass sich
dies nicht in den amtlichen Statistiken
widerspiegele, hänge mit der Zählweise
zusammen und mit dem Umstand, dass
die Kunststoffbranche eine Quer-
schnittsindustrie sei. So sind große
Teile der Automobil-Zulieferindustrie –
die in Thüringen hochgelobt, gehegt
und gepflegt wird – eigentlich Kunst-
stoffverarbeiter. Jeder Stecker, jeder
Scheinwerfer und jedes Steuergerät be-
steht zu großen Teilen aus Kunststoff.
Hier bemerkt Matthias Grafe allerdings
einen Sinneswandel. Wurde die Branche
in Thüringen früher vielfach unter-
schätzt, habe sich die Bekanntheit der
Branche und ihres Potenzials deutlich
erhöht. Thüringen zählt heute zu einer
Region mit der höchsten Dichte an
kunststoffverarbeitenden Betrieben in
Deutschland. Dafür hat Grafe eine ein-
fache aber plausible Erklärung: Kunst-
stoff habe hier die Werkstoffe Holz und
Glas in der Verarbeitung ersetzt. Im
Schwarzwald habe es seinerzeit eine
ähnliche Entwicklung gegeben. Dazu
käme, dass die kunststoffverarbeitende
Industrie wegen der Vielfalt der Pro-
dukte und Einsatzmöglichkeiten sehr
kleinteilig sei. Dies käme der kleinteilig
geprägten Wirtschaftsstruktur Thürin-
gens entgegen. Außerdem sei die
Branche sehr kapitalintensiv. Kapital
wiederum sei wegen der guten Förder-
möglichkeiten hier günstig zu beschaf-
fen gewesen.
Grafe wäre nicht Grafe, wenn dieser
Umstand nicht wieder ein gutes Stich-
wort für einen weiteren Gedankengang
abgäbe. Wirtschaftsförderung, die auf
Nachhaltigkeit setze, so schreibt er der
Politik ins Stammbuch, müsse vor allem
auf Zukunftsfähigkeit der Technologien
und Produkte setzen. So würden die
Investitionen am besten und sichersten
wieder zurück fließen.
Dass diese Diskussion nicht unproble-
matisch ist, weiß Grafe nur zu genau.
Kunstsoff hat in weiten Teilen der
Bevölkerung – und damit auch der
Politik – ein Akzeptanzproblem. Der
Unternehmer glaubt aber, auch dafür
einen gedanklichen Ansatz gefunden zu
haben. „Die ganze Recycling-Debatte
geht für mich in die falsche Richtung“,
sagt er und weiß genau, dass er mit die-
sem Postulat erst einmal Stirnrunzeln
erzeugt. „Kunststoff ist energiereich,
weil er aus Erdöl besteht. Wir wenden
derzeit aber wieder Energie auf, um aus
einem Kunststoff einen anderen Kunst-
stoff zu machen. Wie wäre es, wenn wir
zwischendurch erst einmal sein Ener-
giepotenzial nutzen würden?“ Am Ende
müssten aber andere Kohlenstoffver-
bindungen gefunden werden, mit denen
sich das Erdöl ersetzen ließe. Diese
Möglichkeiten, ist Grafe überzeugt, gibt
es und damit ist ihm auch um die
Zukunft der Kunststoffindustrie nicht
bange. (tl)
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